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Nach (after) der Sci-Fi kommt (comes) der Cli-Fi
18. Juni 2017, 10:00
Eine Konferenz in Graz reflektierte über die Rolle von Literatur in ökologischen Diskursen. Das Genre der Climate-Fiction macht die abstrakten Folgen des Klimawandels greifbar
Graz – Sie beschreiben Hitze- und Flutwellen, Eiszeiten, das Aussterben der Arten oder porträtieren Naturschönheit und zeigen ungezähmte Wälder, Meere und Tiere als besonders schützenswert. Für literarische Werke, die den menschengemachten Klimawandel und seine Folgen thematisieren, hat die Literatur- und Kulturwissenschaft seit einiger Zeit eigene Konzepte und Labels entwickelt: Man spricht von "Ökokritik" (auf Englisch "Ecocriticism") oder "Climate-Fiction", kurz "Cli-Fi".Provokativ und mit Fragezeichen, aber nicht unernst gemeint bezeichnete Axel Goodbody Cli-Fi als das "Genre des Jahrhunderts". Der Germanistikprofessor der britischen Universität Bath sprach vergangene Woche bei der Konferenz "Literature and the Environment", die vom Anglistik-Institut der Universität Graz organisiert und unter anderem von der Akademie der Wissenschaften und dem Landwirtschaftsministerium unterstützt wurde.
Ökokritische Literatur oder Cli-Fi tritt mit einem politischen Anspruch an. Sie will mitgestalten, wie über Klimawandel und die damit verbundenen Risiken und Gegenmittel nachgedacht wird. "Klimawandel ist für die menschliche Wahrnehmung unzugänglich", sagte Goodbody. Literatur übersetze das globale, komplexe Phänomen in einzelne Raum- und Zeiteinheiten. "Sie macht den Klimawandel lokal und unmittelbar und zeigt gleichzeitig seinen dramatischen Maßstab." Cli-Fi könne positive und negative Rollenbilder aufzeigen und verschiedene Handlungsszenarien ausloten. Die meisten Werke, die als Climate-Fiction gehandelt werden, sind amerikanisch, es gibt aber auch viele deutschsprachige Beispiele, wie Goodbody zeigte. Er nannte etwa den Proto-Cli-Fi-Roman "Berge Meere und Giganten" von Alfred Döblin aus dem Jahr 1924 sowie Ilija Trojanows "EisTau" (2011).
Welche spezifische Funktion kann Literatur für ökologische Diskurse haben? Diese Frage prägt die Ökokritik und somit auch grundlegend die Grazer Konferenz. Ein zentraler Theoretiker in dieser Auseinandersetzung ist Hubert Zapf, Amerikanist an der Universität Augsburg. In seinem Vortrag hob Zapf hervor, dass Künstler ein ausgeprägtes, kritisches Sensorium für Machtverhältnisse hätten und somit eine wichtige Stimme in der Verhandlung von Umweltgerechtigkeit seien. Angesichts der ökologischen Krise seien neue Formen des Geschichtenerzählens notwendig.
Kultur und Natur
Das passiert einerseits auf inhaltlicher Ebene; Cli-Fi lenkt die Aufmerksamkeit auf ökologische Themen und Motive. Andererseits geht es um das Aufzeigen von Perspektiven durch das Finden einer neuen Sprache und somit auch um eine gewisse Selbstreflexion von Literatur und Literatur- und Kulturwissenschaft.So wurde bei der Tagung oft auf Zapfs einflussreiches Konzept der "kulturellen Ökologie" zurückgegriffen, das Kultur und Natur nicht einander gegenüberstellt, sondern auf einer Ebene denkt. Die "Umwelt" ist in diesem Verständnis nicht mehr nur die materielle Umgebung, sondern auch die Ideen und Bilder, die an diese geknüpft sind und auf sie zurückwirken. "Literatur ist eine ökologische Kraft im kulturellen Feld", sagte Zapf.
Neben konkreten ökokritischen Textstudien – etwa Maximilian Feldner von der Universität Graz, der über den nigerianischen Autor Helon Habila und sein Sujet der Ölgewinnung im Nigerdelta sprach – waren daher auch die Herangehensweisen und Ziele der Wissenschaft selbst immer wieder Thema. Julia Martin von der südafrikanischen University of the Western Cape zeigte eindrucksvoll, was der Anspruch der "environmental humanities" für ihr akademisches Arbeiten bedeutet.
Mit der Idee, auch nichtakademisches Publikum zu erreichen und die disziplinären Grenzen zu überschreiten, propagierte sie "literarische Non-Fiction", ein essayistisches wissenschaftliches Schreiben. Sie ermutigte zu spekulativeren Herangehensweisen, bei Beibehaltung wissenschaftlicher Akkuratesse. Dabei sei der eigenen Subjektivität ein gewisser Platz einzuräumen: "Im akademischen Schreiben wird das 'Ich' vermieden", sagte Martin, man sollte hingegen versuchen, in wissenschaftlicher Weise ausgehend von persönlichen Erfahrungen und Gefühlen zu sprechen – ohne dass das "Ich" dabei ein narzisstisches würde.
"Interconnectedness", die Feststellung, dass alles mit allem verbunden ist, sei der Kern dessen, was aus der derzeitigen ökologischen Situation gelernt werden könne, sagte Martin. Zu dieser Verbundenheit gehören in einem wichtigen Maß auch Tiere.
Tiere sprechen lassen
Wird über ökokritisches Schreiben reflektiert, dann oftmals mit der Frage, wie die literarischen Werke nichtmenschlichen Protagonisten eine Stimme verleihen. Oft werden Tiere in Fiktionen anthropomorphisiert und kommunizieren in menschlicher Sprache – man denke an "Das Dschungelbuch". Der Kanadist Konrad Groß von der Universität Kiel zeigte anhand des Romans "L'Oursiade" der französischsprachigen kanadischen Autorin Antonine Maillet, dass es alternative, seiner Ansicht nach überzeugendere Weisen gibt, Tiere sprechen zu lassen.Eine weitere kanadische Autorin, auf die in diesem Zusammenhang immer wieder referiert wird, ist Margaret Atwood. In einer Doppelpräsentation und im Vergleich mit der Schweizer Autorin Hedi Wyss zeigten Michelle Gadpaille und Vesna Kondric-Horvat von der Universität Maribor auf, wie Atwoods Fiktionen thematisch, aber auch stilistisch ökokritisch arbeiten. In Bezug auf eine Kurzgeschichte Atwoods stellte Gadpaille fest: "Sie schreibt ohne die Syntax des Missbrauchs am Planeten. Nicht Subjekt, Verb, Objekt; nicht jemand tut etwas einem anderen an." (Julia Grillmayr, 18.6.2017)
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